Samstag, 29. November 2014 Postscriptum Liebe Pragerinnen und Prager, nun bin ich zurück am heimatlichen Schreibtisch und mein intensiver, fast vierwöchiger Aufenthalt in der Goldenen Stadt ist schon Vergangenheit. Zwei Dinge möchte ich zum Abschluss dieser herrlichen, geschenkten Auszeit noch anmerken. Zum einen meine „Top 10“, beziehungsweise „Top 11“ – die Orte, die mich am…
Monat: November 2014
Briefe aus Prag – 26
Freitag, 28. November 2014 Blick auf die Stadt oder Der Geist von Prag Liebster, heute, als die Nachmittagsdämmerung langsam über die Stadt hereinbrach, hat mich der Geist von Prag auf meinem Abschiedsspaziergang begleitet. Lenka Reinerovà beschreibt in ihrem Buch „Närrisches Prag“ den Geist als ein hauchdünnes und dennoch unübersehbares Wesen, das beispielsweise gleichzeitig an drei…
Briefe aus Prag – 25
Donnerstag, 27. November 2014 Kafkas Körper Liebster, Kafkas Körper erwies sich zunächst als sehr widerstandsfähig. Es ist überliefert, dass er ein unermüdlicher Spaziergänger war, der viele Stunden lang, ohne die kleinste Anstrengung zu verspüren, durch die Straßen der Stadt, ihre Parks und Gärten, ihre Hügel hinauf und das Moldauufer entlang gehen konnte, in Gesellschaft, doch…
Briefe aus Prag – 24
Mittwoch, 26. November 2014 Natürlich, eine alte Handschrift (2) Liebster, von Tag zu Tag wird es spürbar kälter in Prag. Mittlerweile ist das Thermometer an der Nullgradgrenze und mein Iphone vermeldet, dass es ab Montag schneien soll! Es sieht fast so aus, als hielte der Winter nach meiner Abreise Einzug in die Stadt. Wie schön…
Briefe aus Prag – 23
Dienstag, 25. November 2014 „Natürlich, eine alte Handschrift“ (Umberto Eco) Liebster, bis heute geht eine seltsame Faszination von Bibliotheken aus. Nicht nur für mich, wie ich immer wieder feststellen kann, sondern wohl für jeden, der eines solchen Anblicks gewahr wird. Eine alte Bibliothek zu sehen, mit Bänden, die Jahrhunderte überstanden haben, ist wie aufs Meer…
Briefe aus Prag – 22
Montag, 24. November 2014 Der Geist von Mozarts Katze Liebster, eine Enttäuschung hielt Prag allerdings nun doch für mich bereit und dabei eine gänzlich unerwartete. Heute machte ich mich endlich auf in den Ortsteil Smichov auf der anderen Moldauseite, um die Villa Bertramka zu sehen. In diesem Haus, das ehedem dem Ehepaar Dusek gehörte, wohnte…
Briefe aus Prag – 21
Sonntag, 23. November 2014 Havel na Hrad Liebster, heute war Kinotag. Zuerst habe ich in der wunderbaren Jugendstil-Ausstellung im Gemeindehaus nicht nur meinen Eindruck der Art Nouveau-Epoche, nach dem Besuch im Mucha-Museum vor einigen Tagen, vervollständigen und erweitern können: Großartig beispielsweise die ausgestellten Kleider aus der Zeit. Die „femme fatale“, eine Erfindung des Jugendstils sozusagen,…
Briefe aus Prag – 20
Samstag, 22. November 2014 Casanova tanzt (2) Liebster, Erster Balkon, Loge 18, dort hat Giacomo Casanova sich mit der schönen Dame im blauen Kleid verabredet. Endlich, er kann es kaum erwarten, anzukommen, die Pferde scheinen ihm heute so langsam, die Straßen sind voller hastender Menschen und im allgemeinen Trubel steckengebliebener Fuhrwerke, alle scheinen dem Theater…
Briefe aus Prag – 19
Freitag, 21. November 2014 „Prag hat keine Realität.“ (Franz Werfel) Liebster, auf der Stirnseite der Altneusynagoge, zur Pariser Straße hin, kann man sehen, dass dieses Gebäude wirklich einen Dachboden besitzt. Weit oben unter dem Dachfirst gibt es eine Tür, zu der außen an der Fassade eiserne Stufen hinaufführen, die jedoch vom Boden aus nicht erreichbar…
Briefe aus Prag – 18
Donnerstag, 20. November 2014 „…mein wirkliches Leben anzufangen, in welchem mein Gesicht endlich mit dem Fortschreiten meiner Arbeiten in natürlicher Weise wird altern können.“ (Franz Kafka, Tagebucheintrag vom 3.1.1912) Liebster, bei dem recht unbekannt gebliebenen Autor und Kafkaforscher Josef Mühlberger (1913-1978) las ich in einem Bändchen, das ich in der Bibliothek des Prager Literaturhauses fand,…
Briefe aus Prag – 17
Mittwoch, 19. November 2014 „Kein Traumcafé, sondern ein Literaturhaus“ (Lenka Reinerová) Liebe Lenka Reinerovà, ich gestehe, bevor ich nach Prag kam, kannte ich Sie nicht, weder Ihren Namen, noch Ihre Texte. Daher wusste ich auch nicht, dass Sie die letzte noch in deutscher Sprache schreibende Autorin in Prag waren. 1916 in Prag geboren, hatten Sie,…
Briefe aus Prag – 16
Dienstag, 18. November 2014 Blau ist die Vergangenheit, Gelb die Gegenwart, Orange die strahlende Zukunft A. Mucha Liebster, heute war ein Regentag, der erste seit meiner Ankunft vor nun schon bald zweieinhalb Wochen, dafür aber ein besonders heftiger Regentag, ganztags ohne Pause. In den Straßen standen überall Pfützen, manche so groß wie der ganze Gehsteig….
Briefe aus Prag – 15
Montag, 17. November 2014 Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie (1989) Lieber Vaclav Havel, ich fasse mich kurz, denn falls Sie im Himmel ein Postfach haben, wird es heute ohnehin übervoll sein. Denn heute ist es genau 25 Jahre her, dass Sie gemeinsam mit dem tschechischen Volk den Kampf für Freiheit und Demokratie gewonnen…
Briefe aus Prag – 14
Sonntag, 16. November 2014 „Das einzige, was ich wirklich schreiben kann, sind Liebesbriefe, und letzten Endes sind alle meine Artikel nichts anderes.“ Milena Jesenská Liebe Milena, verzeihen Sie, dass ich Sie einfach bei Ihrem Vornamen nenne, liebe Milena Jesenská, aber das ist zurückzuführen auf den Umstand, dass Sie mit Ihrem Vornamen eine weltbekannte Persönlichkeit geworden…
Briefe aus Prag – 13
Samstag, 15. November 2014 Kulissen Liebster, in der wunderbaren Jugendstil-Passage des Lucerna-Kinos unweit des Wenzelsplatzes – seit dem Jahr 1909 das älteste durchgehend geöffnete Kino Europas, hier trafen sich schon Kafka und Max Brod, um gemeinsam Filme anzuschauen – sind Schautafeln zur samtenen Revolution ausgestellt, die sich übermorgen zum 25. Mal jährt. Es gibt auch…
Briefe aus Prag – 12
Freitag, 14. November 2014 Casanova tanzt Liebster, beim Fürsten von Mansfeld-Fondi in seinem wunderbaren Barock-Palais an der Karlsbrücke ist Giacomo Casanova, Chevalier de Saingalt, immer gern zu Gast. Wenn er gleich den Ballsaal im Piano nobile betritt, wird ihn wieder dieses leichte Zittern innerer Vorfreude befallen: Wer wird heute dort sein? Mit zehn Schritten ist…
Briefe aus Prag – 11
Donnerstag, 13. November 2014 Der Absinthtrinker Liebster, dem Absinthtrinker an der Rückwand des Café Slavia erscheint eine junge, schöne, nackte, durchsichtige, grüne Frau. Er meint, zu träumen. Er ist fassungslos. Sie sitzt mit ihrem schönen Hintern auf der Tischkante, hat eine Hand auf die Tischplatte gestützt. Ein Kellner eilt herbei, doch der scheint sie nicht…
Briefe aus Prag – 10
Mittwoch, 12. November 2014 Flaneurin auf der Kleinseite Liebster, wann ist man eigentlich in einer Stadt wirklich angekommen? Wenn man nicht mehr von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit stürmt? Wenn man das Gefühl hat, sich ein wenig auszukennen, und hie und da auch schon „Schleichwege“ gefunden hat, also nicht andauernd stehen bleiben muss, um den Stadtplan zu…
Briefe aus Prag – 9
Dienstag, 11. November 2014 Ein Nichts, ein Traum, ein Schweben Sehr geehrter Herr Dr. Kafka, Sie haben in Ihrem Leben viele Briefe bekommen und sicherlich mindestens ebenso viele oder noch mehr geschrieben, sowohl beruflich, als auch privat, die Sie abgesandt oder nicht abgesandt haben. Deshalb scheint es mir angemessen, Ihnen in dieser Form zu begegnen….
Briefe aus Prag – 8
Montag, 10. November 2014 Im Ballsaal Liebster, der Pianist im Café Slavia spielt, während sich die Kaffeehausbesucher unterhalten, die Mobiltelefone klingeln, die Kellner mit klappernden Tellern vorbeihasten, während vor den großen Fenstern die Nacht hereinbricht und die Fassade des Nationaltheaters gegenüber, eben noch schwärzlich grau, jetzt in leuchtendem Ocker erstrahlt. Da er dazu verurteilt ist,…
Briefe aus Prag – 7
Sonntag, 9. November 2014 „Am Grunde der Moldau wandern die Steine, es liegen drei Kaiser begraben in Prag…“ Liebster, heute ist Sonntag. Deshalb hat Herr Dr. Kafka frei und somit hat er auch frei von mir und mein Begleiter Klaus Wagenbach kann sich ebenfalls zwischen seinen Buchdeckeln auf dem Schreibtisch ausruhen und braucht das Haus…
Briefe aus Prag – 6
Samstag, 8. November 2014 „…der schöne Weg hinauf, die Stille dort…“ Liebster, gestern habe ich vom Verschwinden der Kaffeehauskultur geschrieben. Und vor einigen Tagen sagte ich: Kafka lebt nicht mehr hier. So wie immer bei einer Recherche ist nichts mehr vorzufinden und gleichzeitig ist alles noch da. Es kommt auf den Blickwinkel an. Wer sich…
Briefe aus Prag – 5
Freitag, 7. November 2014 Auf der Suche nach dem geschlossenen Café Liebster, der Tag begann mit der Suche nach einer neuen Glühbirne für meine Schreibtischlampe. Auf einem Sonderpostentisch beim Norma-Markt um die Ecke wurde ich nach einiger Zeit fündig. Es werde also wieder Licht. Heute war Fototermin für die Stipendiatin des Prager Literaturhauses. Ich traf…
Briefe aus Prag – 4
Donnerstag, 6. November 2014 „…horchend ins Geschrei der Dohlen…“ Liebster, jetzt ist die Birne meiner Schreibtischlampe kaputt gegangen und ich sitze im Halbfinsteren, um meinen Brief zu schreiben. Gestern Nacht hat es geregnet, der Asphalt war nass glänzend, als ich am Vormittag bei bedecktem Himmel aus dem Haus ging. Übrigens sind die Prager freundlich. Sie…
Briefe aus Prag – 3
Mittwoch, 5. November 2014 Im Schatten der jüdischen Stadt Liebster, um den Mitlesenden zu erklären, warum es sich um Briefe handelt, die öffentlich werden, sei Folgendes gesagt: Kafka war ein großer Briefschreiber. Neben seinen Erzählungen, Tagebucheinträgen und Romanen, hat er sehr viele Briefe hinterlassen. Durch seine Briefe an Felice und an Milena wurden diese beiden…
Briefe aus Prag – 2
Dienstag, 4. November 2014 Kafka lebt nicht mehr hier Liebster, heute war ein strahlender Sonnentag, blauer Himmel und ganz milde Luft – gegen jedes Klischee von einer nebelumwaberten Karlsbrücke, nassem Kopfsteinpflaster, Schwarz-weiß-Design und flüchtigen Schatten unter den Laternen. Ich war unterwegs im Kafka-Land. Begonnen habe ich meine Tour bei seiner wichtigsten und letzten Arbeitsstätte, dem…
Briefe aus Prag – 1
Montag, 3. November 2014 „Unsere Kunst ist ein von der Wahrheit Geblendetsein.“ (Franz Kafka) Liebster, die Buchhandlung ACADEMIA am Wenzelsplatz gibt den Käufern keine Plastiktüte mit, sondern schlägt die gekauften Bücher in sanft glänzendes Papier ein, auf dem die Fassade des Hauses abgebildet ist. Wenn man die Bücher auswickelt, sind sie wie Geschenke, die man…